Gesundheit ist für Menschen in Haft ein wichtiges Thema. Viele Inhaftierte sind aufgrund von HIV- und Hepatitis-Infektionen sowie durch Drogengebrauch gesundheitlich schwer belastet. In Deutschland konsumiert jede*r dritte Gefangene illegale Drogen. Aber auch der Wunsch nach körperlicher Nähe, nach Zärtlichkeit und Sex gehören zum Alltag; denn es geht hierbei um Grundbedürfnisse, die befriedigt werden wollen. Im Gefängnis fehlen jedoch oft die Mittel, um die Übertragung von HIV, HCV und anderen Infektionen zu verhindern. Dies sind beispielsweise saubere Spritzen und Konsumutensilien, die PrEP und die PEP. Aber auch Kondome sind nicht immer niedrigschwellig zu erhalten. Ferner ist zum Teil der Zugang zu Substitutionstherapien nicht gewährleistet. Der Anteil der Menschen in Haft mit einer Hepatitis-C-Infektion liegt bei ca. 15 Prozent und ist somit um das 26 bis 32-fache höher als in der Allgemeinbevölkerung; der Anteil von Menschen mit HIV liegt bei ca. einem Prozent und ist damit 16 bis 24-fach höher.
Die Haftarbeit gehörte schon immer zum Aufgabenfeld der Aidshilfe. Seit über 30 Jahren engagieren wir uns für Prävention und Beratung in Haft. Kerntätigkeit der meisten Aidshilfen ist hierbei die Begleitung und Beratung von Menschen mit HIV oder einer Hepatitis-Infektion. Darüber hinaus bieten die Mitarbeiter*innen der regionalen Aidshilfen auch Präventionsveranstaltungen für Gefangene sowie für Bedienstete an.
Das Haltungspapier des Landesarbeitskreise Drogen/Haft finden Sie hier (PDF-Datei).
Neben den Justizvollzugsanstalten, mit denen wir gute Kooperationen
haben (teilweise ausschließlich durch Ehrenamtliche), gibt es immer noch
Gefängnisse, die keinerlei Anbindung an Aidshilfen haben. Nicht überall
stoßen wir auf Kooperationsbereitschaft und die Finanzierung unserer
Arbeit entspricht nicht dem Bedarf. Gesundheitsschutz darf jedoch keine
theoretische Möglichkeit bleiben, sondern muss praktisch und konkret in
den Justizvollzugsanstalten umgesetzt werden. Dies bedeutet, dass
Zugänge zu allen Präventionsmöglichkeiten, zu Therapie-Angeboten, der
Substitutionsbehandlung und zum Gesundheitsschutz niedrigschwellig
vorgehalten werden müssen.
Eine stringente und solide finanzierte
Präventionsarbeit in Haft ist nach wie vor eher die Ausnahme. Eine
angemessene und vor allem auch nachhaltige staatliche Finanzierung der
fachlich qualifizierten Präventions- und Beratungsarbeit durch die
Aidshilfen muss sichergestellt werden.
Wir arbeiten im Interesse
der Menschen in Haft. Unsere Angebote richten sich an Gefangene,
insbesondere an Menschen mit HIV und Hepatitis, und an Drogen
konsumierende Menschen sowie an deren An- und Zugehörige. Ebenso
schließt unser Einsatz alle Menschen und Strukturen ein, die die
Alltagsrealität in den Justizvollzugsanstalten zu verantworten haben und
diese beeinflussen können.
Der Einsatz für die gesundheitlichen
Anliegen dieser Zielgruppen erfordert Engagement, Mut und
Beharrlichkeit. Zwar gibt es gesetzliche Bestimmungen,
Verwaltungsvorschriften oder Erlasse, die Präventions- und
Beratungsangebote nicht nur zulassen, sondern diese auch fordern.
Dennoch gibt es Hindernisse, die häufig im Menschenbild und der inneren
Haltung gegenüber Menschen in Haft begründet sind. Daher stehen nicht
nur Menschen in Haft im Mittelpunkt unserer Arbeit, sondern auch jene,
die im Haftbereich tätig sind, sowie Menschen aus Politik und
Politikverwaltung.
Im Rahmen einer zeitgemäßen
Qualitätsentwicklung, einer erfolgreichen Informationsvermittlung sowie
der Fortbildung und Vernetzung richten wir uns sowohl an Bedienstete und
Mitarbeiter*innen im Strafvollzug, an Multiplikator*innen als auch an
Haupt- und Ehrenamtliche, die im Kontext der Haftarbeit tätig sind.
Wir verstehen uns als gesellschaftspolitische Akteur*innen. Angesichts
sich verschlechternder gesundheits- und sozialpolitischer
Rahmenbedingungen positionieren wir uns klar: Im Mittelpunkt unserer
Arbeit steht der Mensch. Wir wollen Handlungskompetenzen vermitteln,
Eigenverantwortlichkeit stärken und Gesundheit von Menschen in Haft als
wertvollen Teil der gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsförderung
ausbauen. Wir treten für einen diskriminierungs- und repressionsfreien
Umgang von Staat und Gesellschaft mit Drogen gebrauchenden Menschen,
Menschen in Haft sowie Menschen mit HIV/Aids und Hepatitis ein.
Unsere
Arbeit zielt ab auf die Stärkung der individuellen Handlungskompetenz
in Hinblick auf das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden. Sie
basiert auf dem Konzept der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention,
die sich gegenseitig beeinflussen und daher eng vernetzt werden müssen.
Im
Rahmen der strukturellen Prävention tragen wir dazu bei,
gesellschaftliche Verhältnisse zu fördern, die ein selbstbestimmtes
Handeln der Menschen im Umgang mit HIV, Aids und anderen sexuell
übertragbaren Infektionen ermöglichen.
Wir engagieren uns in der Beratung und Betreuung von Inhaftierten für
eine zeitgemäße Prävention in Haft sowie in der Fortbildung Bediensteter
im Kontext gesundheitspräventiver Maßnahmen. Erfolge wie der Wegfall
des Zwangsouting HIV-positiver Inhaftierter beim Umschluss in einigen
Haftanstalten und das hohe Vertrauen, das wir bei vielen Bediensteten in
den Gefängnissen genießen, zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg
sind.
Wir arbeiten partizipativ und solidarisch mit den Menschen
aus unseren Zielgruppen. Dies beinhaltet sowohl die Akzeptanz
unterschiedlicher Lebensstile und -situationen als auch den
akzeptierenden Ansatz im Kontext Drogen- und Substanzkonsum. Die
Beteiligung stärkt nicht nur die Selbsthilfekompetenz der Menschen aus
unseren Zielgruppen, sondern auch die Bedarfsorientierung und Qualität
unserer Projekte.
Menschen sind nur für eine begrenzte Zeit in Haft. Die vermeidbaren
gesundheitlichen Schäden, die während des Verbleibs entstehen, bleiben
jedoch oft ein Leben lang bestehen. Dabei erwachsen zugleich Gefahren
für die öffentliche Gesundheit. Weniger Inhaftierung von Drogen
konsumierenden Menschen, mehr Prävention und eine bessere
Gesundheitsversorgung in Haft nutzen sowohl Menschen innerhalb als auch
außerhalb der Haft.
Die Ausgangssituation, nämlich dass in
Deutschland jede dritte bis vierte Person in Haft illegale Drogen
konsumiert, und dass HIV und Hepatitis in Justizvollzugsanstalten sehr
häufig vorkommen, rechtfertigt besondere Anstrengungen in der
Gesundheitsprävention in Haft.
Wir fordern die konsequente
Umsetzung des sogenannten Äquivalenzprinzips, also die Sicherstellung
der gleichen Bedingungen für Prävention, Gesundheitsvorsorge und
Behandlung, wie sie auch außerhalb der Haft herrschen.
Denn: Eine
Umsetzung des Äquivalenzprinzips für Menschen in Haft bedeutet nicht,
dass der Staat Drogenkonsum befürwortet, sondern macht deutlich, dass
Politik und Justiz die reale Situation kennen und ihrer Verantwortung
für die Gesundheit Gefangener und für die Gesellschaft gerecht werden.
Wir
fordern die Vergabe von Spritzen und anderen Safer-Use-Materialien in
Haft und die Bereitstellung von und den Zugang zu Safer-Sex-Materialien
und -Methoden (Kondome, PrEP, PEP, Schutz durch Therapie), Beratungs-
und Testangebote sowie andere umfangreiche Angebote im Kontext einer
zeitgemäßen Präventionsarbeit.
Wir fordern eine bessere
Gesundheitsversorgung für Inhaftierte. Dies beinhaltet sowohl die freie
Arztwahl, eine vorurteilsfreie und adäquate Behandlung der Menschen in
Haft als auch Angebote zur Substitution, moderner
Behandlungsmöglichkeiten im Kontext der HIV- und Hepatitis-Therapie
sowie Beratung und Test.
Wir fordern eine bessere
Berücksichtigung und Integration wissenschaftlicher Erkenntnisse aus dem
medizinischen Kontext und aus der Drogen- und Präventionsarbeit.
Gesundheitsprävention in Haft muss sich an wissenschaftlicher Evidenz
orientieren. Subjektive Sicherheitsbedürfnisse in Kombination mit
Unkenntnis von Übertragungswegen führen zur diskriminierenden Behandlung
inhaftierter HIV-positiver und Drogen konsumierender Menschen.
Wir
fordern eine Festlegung geregelter und planbarer Budgets der einzelnen
Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen für die
HIV/STI-Prävention freier Träger. Diese Budgets müssen sowohl die
Personalkosten für Zeiten in den Justizvollzugsanstalten als auch
Vorbereitungs- und Wegezeiten berücksichtigen und somit die
tatsächlichen Personalkosten decken.
Neben Prävention und
individueller Hilfe wollen wir gezielt Einfluss auf politische
Entscheidungen nehmen. Wir fordern eine Novellierung des heute geltenden
Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) und die Entkriminalisierung derzeit
illegaler Drogen und Substanzen sowie von deren Konsum. Die
Strafverfolgung von Drogen konsumierenden Menschen löst das Problem
nicht, im Gegenteil: Konsumierende werden marginalisiert, von
Präventionsangeboten ferngehalten und so Gesundheitsrisiken ausgesetzt.
Menschen, die aufgrund ihres Drogenkonsums verurteilt worden sind,
gehören nicht ins Gefängnis. Die Legalisierung bzw. staatliche Abgabe
bestimmter Substanzen kann den Handel mit manipulierten, gestreckten und
der Gesundheit noch mehr schadenden Drogen eindämmen; der Staat könnte
so die Kontrolle zurückgewinnen, an der die Strafverfolgung scheitert.