10. September 2020 - Viele Jahr lang war wenig Bewegung zum Thema Diamorphin-Substitution bzw. Originalstoffvergabe an opioidabhängige Menschen in Deutschland zu spüren. In NRW war Diamorphin bislang vor allem ein rheinländisches Thema: Die ersten beiden Diamorphin-Ambulanzen in Köln und Bonn stammen noch aus der Zeit der sogenannten Heroin-Studie, die den Weg zur gesetzlichen Regelung für die Diamorphinvergabe im Jahr 2009 ebnete. 2016 kam Düsseldorf dazu. Nachdem im Juli 2020 erst die landesweit vierte Ambulanz in Wuppertal eröffnet hat, wurde nun bereits die nächste Neueröffnung für dieses Jahr angekündigt, und zwar in Holzwickede im Kreis Unna. Damit steht nun die erste Praxis dieser Art im Geltungsbereich der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe in den Startlöchern. Geplant ist die Inbetriebnahme zum 1. November 2020, bereits jetzt wird die neue Diamorphinambulanz sowohl in den Medien als auch innerhalb des Hilfesystems im Kreis und im angrenzenden Dortmund kontrovers diskutiert. Wir veröffentlichen hier eine Stellungnahme der Aidshilfe im Kreis Unna:
Die Aidshilfe im Kreis Unna begrüßt die Pläne zur Eröffnung einer Diamorphin-Ambulanz in Holzwickede ausdrücklich. Mit dem Angebot wird in der Region eine wichtige Lücke im Versorgungssystem der suchtmedizinischen Hilfen geschlossen. Kaum die Hälfte der mindestens 160.000 Opioidabhängigen in Deutschland erhält derzeit eine Substitutionsbehandlung. In vielen anderen europäischen Ländern ist die Behandlungsquote wesentlich höher.
Substitution mit medizinisch reinem Heroin (Diamorphin) ermöglicht langjährig Heroinabhängigen die gesundheitliche Stabilisierung und den Wiedereinstieg in ein geregeltes Leben. Sie ist eine Alternative für Substituierte, die von anderen Mitteln wie Methadon nicht ausreichend profitiert haben. Gesundheitsrisiken durch verunreinigtes Heroin, Drogennotfälle sowie die Risiken einer HIV- oder Hepatitis-Infektion werden durch diese Behandlungsform vermieden, Beschaffungskriminalität wird reduziert. Sollte sich das Arbeitsaufkommen der etablierten Suchtmediziner*innen im Dortmunder Raum durch die neue Ambulanz möglicherweise verringern, können diese Ressourcen für neue Patient*innen genutzt werden.
Im August hat die Deutsche Aidshilfe unter dem Titel „100.000 Subsituierte bis 2022“ eine Kampagne gestartet, um die Behandlungsquote in Deutschland zu steigern. Die neue Ambulanz in Holzwickede kommt daher zur rechten Zeit. Die Kritik an der geplanten Einrichtung betrachtet die Aidshilfe in Unna als nicht gerechtfertigt und die Argumente nicht nachvollziehbar. Suchtmedizinische Hilfen müssen sich am Bedarf orientieren, nicht an den wirtschaftlichen Interessen konkurrierender Ärzt*innen. Polemisch ist der Vorwurf, dass der neue Suchtmediziner mit seiner Praxis Geld verdient. Auch die etablierten Suchtmediziner*innen in Dortmund machen die Methadonbehandlung nicht für Gotteslohn. Tatsache ist, dass heute kaum noch Ärzt*innen gefunden werden, die eine suchtmedizinische Versorgung anbieten. Ein großer Teil geht in den nächsten Jahren in den Ruhestand, Nachfolger*innen sind trotz größter Bemühungen nicht in Sicht. Auch deshalb ist die neue Praxis für die Region ein Gewinn.